Vinjars Zorn - Ein Märchen des Jervanslands
Es war einmal ein Bauer namens Potoq aus Jiqolurd, einem kleinen Dorf im südlichen Orjamsland. Der Bauer und seine Frau hatten sieben Kinder am Leben zu halten, und so arbeiteten die Beiden Tagein, Tagaus beinahe wie Besessene. Sie bestellten ihre Felder so gut es ging, womit sie die meiste Zeit über die Runden kamen. Den größten Teil ihrer Ernte hatten sie dem örtlichen Grafen, einem grausamen Verwandten des Kaisers, dem man nachsagte, er ließe schon kleine Taschendiebe am Galgen hinrichten, manche erzählten sich sogar, er würde Untertanen ohne Grund, aus reiner Mordlust ans Rad spinnen, als Frohn zu entrichten. Nicht eben verwunderlich war es da, dass die Bewohner der Grafschaft immer in Angst und Schrecken lebten, eines Tages für etwas hingerichtet zu werden, was sie gar nicht begangen hatten. So war die Furcht vor dem Grafen groß, ja so groß, dass immer wieder Fluchtversuche von einigen unternommen wurden. Doch auf der anderen Seite war der Graf beliebt: Immerhin hatte er gegenüber seinen Untertanen seine Schutzgewalt demonstriert, als er den Bären, der die Höfe der Jiqolurder und einiger anderer Bauern der Grafschaft unsicher machte, alleine mit seiner Klinge in die Flucht getrieben hatte. Doch zurück zum eigentlichen Problem Potoqs und seiner Familie: Es war Winter geworden, die Ernte blieb weitgehend aus, und trotz des sorgfältig angereicherten Wintervorrats hungerten die Bauern schon seit Wochen. Dazu kam die klirrende Kälte, die jeden zweiten Tkaj von Vinjarien ins Jervansland getragen wird, und Land und Leute unter eine weiße Decke hüllt, so dass man die verursachte Pein nicht zu Gesicht bekommt. Natürlich hatte Potoq schon häufiger in seinem Leben Vinjars Zorn trotzen müssen, doch in jenem Jahr war er plötzlich gekommen, viel früher als erwartet, und hatte die fruchtbaren Felder mit seinen Federn überzogen, war über Früchte und Pflanzen hinweggefegt, ohne Rücksicht auf Verluste. Und so froren und hungerten Potoq und seine Familie und hofften auf ein Wunder, das den Winter beenden mochte. Doch es geschah nichts.
Den anderen Bauern des Dorfes ging es nicht besser: Auch sie waren vom Winter überrascht worden, und hatten schon jetzt, Mitte Ephaca, den Wintervorrat fast komplett ausgeschöpft. Doch trotz der unglücklichen Situation hatte sich bislang keiner der Untertanen gewagt, beim Grafen um Hilfe, um Vergünstigungen zu bitten. Die Furcht vor der Folter überschattete das Elend.
Anfang Fkeiramol schließlich suchten auch noch diejenigen das Dorf heim, die es immer auf die schwächsten, die Verelendeten abgesehen haben: Die Seuchen. Hilflos sah Potoq zu, wie seine beiden Jüngsten der Aqujrija erlagen, während er selbst mit der Grrelleta-Seuche, welche bekanntlich mit Vorliebe gestandene Männer heimsucht, zu kämpfen hatte. Sein Weib wachte neben ihm, seine Hand in ihrer und weinte. Tag für Tag vergoss sie neue Tränen der Hoffnungslosigkeit. Potoq redete auf sie ein, er würde schon überleben und sie solle sich um die Kinder kümmern und zu sehen, dass sie irgendwoher Essen beschaffen könne, doch alles half nichts. Sie wachte und weinte weiter. Und mit jeder vergossenen Träne wuchs die Wut über ihre Hilflosigkeit bis sie eines Tages beschloss, angesichts der tristen Zustände, den Grafen aufzusuchen. Sie erhob sich von ihrem Platz neben Potoqs Lager und sprach mit entschlossener Miene und fester Stimme: „So kann das nicht weiter gehen. Wenn wir uns nicht selbst helfen, hilft uns auch nicht Vinjar“ kratzte einige letzte Reste des Essensvorrats zusammen, und machte sich auf den Weg Richtung Schloss.
Es war ein recht weiter Weg, den Potoqs Weib da zurückzulegen hatte, denn anders als in vielen kleineren Orjamschen Grafschaften liegt das Schloss von Jarjaqur weit vom größten Dorf Jiqolurd entfernt, erhaben auf einem Hügel. Von dort blickt die Feste über ihr Land, majestätisch beweist sie den Untertanen ihre Macht. Nicht weit ist es bis zum mächtigen Strom des Orjam.
So wanderte Potoqs Weib, meine Erinnerung sagt mir, ihr Name war Larija, gen Schloss, immer mit dem Ungetüm aus Stein im Blick, das Haupt nach oben gerichtet, fasziniert von der märchenhaften Schönheit des Schlosses.
Eine Faszination, die immer wieder von ihrem Magen unterbrochen wurde. Am zweiten Tag war Larija ihr restlicher Proviant gestohlen worden: Sie konnte lediglich einen Dachs dabei beobachten, wie er mit dem Beutel schnell im Walde verschwand. Sie hatte noch nie einen Dachs gesehen, der eine solche Kraft und Geschicklichkeit aufbringen konnte, einen ganzen Sack voller Proviant zu rauben, und so wunderte sie sich sehr, doch sie vergaß ihr Unglück schnell, denn sie war überzeugt von ihrer Aufgabe. Sie war sich bewusst, dass sie der letzte Strohhalm war für die Bauern von Jiqolurd.
Auf ihrer Wanderung passierte sie Wälder und Hügel, Stein und Geröll, und auch einige andere Dörfer der Grafschaft. Schon bald begann ein heftiges Gewitter und faustgroße Hagelkörner fielen vom Himmel. Angesichts dieser unwirtlichen Verhältnisse suchte Larija Schutz unter Bäumen, die sie passierte, doch jedes Mal durchbrachen die Hagelkörner die Krone der hölzernen Riesen, sodass das Weib immer wieder den Schmerz hinnehmen musste.
So fasste Larija den Entschluss Höfe aufzutreiben, in denen sie aufgenommen werden würde, um dort vor dem Wetter geschützt sein zu können. Denn auch die winterliche Kälte setzte ihr schwer zu.
Da ihr Plan allen Bauern der Grafschaft zugute kam, war sie überzeugt, ohne große Probleme eine Unterkunft finden zu können.
Weit gefehlt, wie sie später erfahren musste: Beim ersten Hof angekommen wurde sie
mit Heugabeln und Üblen Beschimpfungen verscheucht, bei den folgenden begegnete man dem Weib nicht freundlicher.
So lief und lief Larija auf der Suche nach einer Bleibe, bis die Dunkelheit die Sonne endgültig verschluckt hatte. Erschöpft ließ sie sich fallen, auf den Boden neben der Straße. Natürlich war dem Weib bewusst, welch Gefahr sie lief, sie bot ein geeignetes Ziel für Räuber. Obwohl sie nichts an sich hatte, was materiellen Wert besaß, so war sie doch immer noch in höchster Gefahr. Sie war eine Frau. Zudem waren Banditen in ihrer Verzweiflung unberechenbar, im Zweifel war Larija das einzige Ziel, das sich den Dieben bot. Hinzu kam die klirrende Kälte, die selbst einem Leqajadischen Häuptling zu schaffen gemacht hätte. Doch so schnell all diese Gedanken durch den Kopf des Weibs schwirrten, so schnell verschwanden sie wieder, verdrängt von der alles übermannenden Erschöpfung. Bald schlief Larija, benebelt von den Sternen, auf dem frostigen Boden ein, mit der Gefahr nicht wieder zu erwachen.
Es war noch mitten in der Nacht als Larija von einem Geräusch geweckt wurde: Hufe. Sie setzte sich auf, wachsam, als sie auch schon den Reiter entdeckte, der des Nachts die Grafschaft durchquerte. Da er allein war, entfernte Larija sich von ihrer anfänglichen Furcht. Räuber traten nur in Banden auf, einzelne Reiter waren meist ungefährlich.
Das Weib stand auf und blickte in Richtung des Reiters. Es war deutlich zu erkennen, dass er aus reichem Hause stammte, an seiner Kleidung sowie an seinem offensichtlich geschulten Reitstil. Der Helm des Ritters blitzte im Schein des Mondes, und ließ die Gestalt wie einen einzigen Lichtpunkt in der ansonsten in Dunkelheit gehüllten Umgebung erscheinen. Gleich einem Stern.
Der Reiter hielt an, als er die frierende, spindeldürre Gestalt am Straßenrand bemerkte. Langsam stieg er von seinem Ross und machte einen Knicks. Wortlos bot er der völlig überraschten Larija seine Rechte an. Das Weib ergriff sie nach einem kurzen Zögern. Sie runzelte die Stirn, verwundert über das ungewöhnliche Gebärden des Ritters. Erst als der Griff der mysteriösen Gestalt ihre Hand vollständig umschlossen hatte, schob der Reiter mit seiner linken Hand sein Visier nach oben. Hinter dem glänzenden Helm verbarg sich kein menschliches Antlitz, nein, nur schwarzer Rauch erfüllte den Platz, an dem eigentlich das Haupt des Reiters hätte sein sollen.
Larija schrie entsetzt auf, wollte sich losreißen von dieser Kreatur des Schreckens, doch der Griff ließ sich nicht lösen. Plötzlich hob die Kreatur ihren Zeigefinger und drückte ihn mit aller Gewalt in Larijas linkes Auge. Ein zischendes Geräusch ertönte, den unbeschreiblichen Schmerz des Weibes begleitend. Larija konnte nicht mehr schreien. Ihr Mund bewegte sich nicht mehr, und schließlich, als der geheimnisvolle Reiter seinen Finger wieder zurückzog, da versiegte auch jeder noch so laute Schrei im Innern der Frau. Da wo früher Larijas linkes Auge gewesen war, klaffte nun eine breite Narbe. Doch das konnte Larija nicht sehen, und so blieb ihr nur, abzuwarten, und zu hoffen, dem Ritter irgendwie entkommen zu können.
Und da begann der Reiter zu sprechen, auch wenn sein Mund unerkannt blieb. „Lass dir dies eine Lehre sein Larija Potoqurjalb! Niemand kann sich gegen die Jaryjaj auflehnen, auch du nicht. Egal wie groß das Leid der Menschen sein wird, es liegt im Ermessen der Götter, nicht in dem der Menschen. Versuche nicht, dies zu ändern! In der Vinjarszeit wird das Weizen von der Spreu getrennt, und das hätte auch nicht der Graf aufhalten können, welcher seinem Hochmut zufolge ebenfalls den Fall hat erleiden müssen. Diejenigen, die den Zorn Vinjars ertragen können, überleben. Die anderen nicht.“ Der Reiter umfasste Larija noch fester, und warf seinen Kopf animalisch, absonderlich nach hinten und blickte ihr wieder in die Augen. „Spitze nun die Ohren, Potoqurjalb! Vinjar, Herr über Eis und Schnee befielt dir durch mich diese Botschaft hinauszutragen in die Welt der Menschen. Du wirst seine Lehren verbreiten und ihm zu Ehren einen Orden gründen. Bis sie alle den Zorn Vinjars begriffen haben. Dann sollen alle Menschen deinem Beispiel folgen. Larija Potoqurjalb, du bist Vinjars erste Gerufene!“


GLOSSAR

Aquirija und Grelleta..........Zwei Seuchen
Ephaca und Fkeiramol.......Zwei Grreianische Monate
Gerufene...............................Propheten der Wolkengötter; Ähnlich den irdischen Priestern
Leqajadier............................Bewohner des Südl. Archipels; Bekannt für ihre Widerstands- & Willenskraft
Orjam....................................Größter Fluss des Jervanslands, Einer der Größten Flüsse Grreias. Hat seine Quelle im Ikosh und mündet bei Qveybyur in den Lamuktii Tirftpag
Orjamsland...........................Landstrich im Jervansland am Orjam.
Potoqurjalb..........................Bedeutet soviel wie „Potoqs Weib/Ehefrau“ und ist Larijas Nachname
Tkaj......................................Ein Jahr auf Grreia (160 Tage à 24 Stunden)
Vinjar..................................Gott des Winters (Von Vinjar kommt die Bezeichnung „Vinjarien“ für die Landschaft im südlichen Jervansland)
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